Rede des Vorsitzenden der Fraktion BergAUF, Werner Engelhardt, zum Doppelhaushalt 2016/2017, zum Haushaltssicherungskonzept und zum Stellenplan der Stadt Bergkamen am 10.12.2015
Sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen des Rats und der Verwaltung, sehr geehrter Herr Bürgermeister,
nicht nur angesichts der knapp gemessenen Redezeit möchte ich jetzt im Unterschied zu meinen Vorrednern nicht ausführlich auf das Thema „Flüchtlinge“ eingehen. Ich halte es auch für wenig sinnvoll, hier über die bundespolitischen Fragen losgelöst von den kommunalen Problemen zu sprechen.
Klar dürfte dabei sein, dass wir als BergAUF ganz eng an der Seite der Flüchtlinge stehen und uns auch keine Illusionen machen über eine „Eindämmung der Flüchtlingsströme“, wie dies von den Vorrednern von SPD und CDU erhofft oder gewünscht wird. Solange die mächtigen westlichen Staaten und ihre Regierungen, Deutschland eingeschlossen, durch Krieg und Umweltzerstörung täglich neue Gründe schaffen, dass Millionen Menschen ihre Heimat verlassen, werden wir ohne Wenn und aber an der Willkommenskultur festhalten und uns Bemühen, die Integration derer zu fördern, die zu uns kommen!
Was den Haushaltsentwurf betrifft: zunächst auch von Seiten der Fraktion BergAUF herzlichen Dank an den Kämmerer und das Team der Kämmerei.Sie haben ihre Pflicht erfüllt und einen auf dem Papier ausgeglichenen Haushalt hingezirkelt, was sicher ein Kraftakt war. Vielen Dank auch für die fach- und sachkundige sowie freundliche Beratung unserer Fraktion durch Herrn Lachmann und Herrn Marquardt.
“Mehr Geld oder weniger Spielgeräte auf den städtischen Spielplätzen“ – diese Alternative sieht das Jugendamt angesichts der einschlägigen Zahlen des uns vorliegenden Haushaltsentwurfs.
Was könnte besser zeigen als Kürzungen zu Lasten der Kinder, dass der „Ausverkauf Bergkamens“, vor dem BergAUF schon vor der letzten Kommunalwahl gewarnt hatte, bereits begonnen hat.
Auf unsere Frage, ob nicht für die nach Bergkamen kommenden Kindern von Flüchtlingsfamilien mehr Kita-Plätze gebraucht würden, antwortete die Verwaltung, für den Bau weiterer Kindertagesstätten würde nach Investoren gesucht. Kindergärten in Investorenhand – wo soll das hinführen?
Auch für die Eishalle, in der schon tausende Bergkamener Kinder Eislaufen gelernt haben und die die Eishockey-Bundesliga-Frauen beheimatet, ist angeblich kein Geld da, auch hier wird nach Investoren gesucht .Diese Privatisierung städtischer Daseinsvorsorge – das ist der beginnende Ausverkauf.
Dabei ist irgendwie immer genügend Geld da, zum Beispiel wenn es um die „Wasserstadt“ geht. Obwohl angesichts der Altlasten auf diesem Gelände und des Giftmülls in tieferen Schichten darunter durchaus bezweifelt werden darf, ob sich die Investitionen je rechnen werden. Wenn es aber um die Daseinsvorsorge geht, dann muss sich alles „rechnen“. Dieser betriebswirtschaftlichen Logik können und werden wir uns nicht anschließen!
Nachdem in den letzten Jahren bereits etliche Bäder geschlossen wurden – immer mit dem Argument, die noch vorhandenen „zukunftssicher“ zu machen, wie die SPD stets zu sagen pflegt, „rechnen sich“ Hallenbad und Wellenbad angeblich nicht mehr!
Wie kurzsichtig! Wer berechnet die umfassenden Folgekosten, z.B. im Gesundheitsbereich, wenn immer weniger Menschen schwimmen können und Schwimmen gehen? Bereits heute ist die Zahl der 10-Jährigen Kinder die nicht schwimmen können, drastisch angestiegen!
Schulen werden geschlossen und man lässt sie, wie im Fall der Heideschule völlig verkommen, um Argumente für den Abriss zu schaffen und die Grundstücke als Bauland versilbern zu können. Auch hier: Ausverkauf von kommunalem Tafelsilber!
Andere Gemeinden halten leer stehende Schulen als Flüchtlingsunterkünfte bereit!
Während also die Daseinsvorsorge für die Bevölkerung – gleich welcher Herkunft – , also die eigentliche Aufgabe einer Kommune, abgebaut oder verteuert wird, wird der Bevölkerung stärker in die Tasche gegriffen. Nach der drastischen Erhöhung der Grundsteuer Anfang diesen Jahres wird es fast schon als Gottesgeschenk dargestellt, dass 2016 nicht gleich die nächste Erhöhung folgt, um die stets steigenden Schuldzinsen der Stadt auszugleichen.
Dies alles geschieht nun seit Jahren im Gewand des sogenannten Haushaltssicherungskonzepts, das stets – aufgrund des gesetzlichen Zwangs – die Fata Morgana eines ausgeglichenen Haushalts vorspiegeln muss, dieses Ziel aber noch nie erreicht hat. Aus heutiger Sicht hat sich völlig bewahrheitet, was ich bereits im Jahr 2005 hier an gleicher Stelle und bei gleicher Gelegenheit sagte: „Alles in allem beugt man sich doch, wenn man sich diesen Gegebenheiten (Anm.: , also den Haushaltssicherungskonzepten) pragmatisch anpasst, diesem unseligen Diktat der Macht, das für die Kommunen und damit für die Bevölkerung eine Spirale nach unten darstellt.“
Heute stehen wir in dieser Spirale ein ganzes Stück tiefer als vor 10 Jahren. Und das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen, Herr Schäfer *, und BergAUF: Sie brüsten sich mit dem Verweis auf verbliebene Errungenschaften aus vergangenen Zeiten und sehen nur den Augenblick, wir dagegen betrachten die Dinge in ihrer Entwicklung und analysieren, wo die Reise hingeht.
Deshalb sagen wir: Es wäre allerhöchste Zeit, meine Damen und Herren der Fraktionen der Berliner und Düsseldorfer Regierungs-Parteien, endlich anzuerkennen, dass Ihre Konzepte vollständig gescheitert sind. Die Haushalte wurden nicht gesichert, sondern das Eigenkapital weitgehend aufgezehrt. Wenn Sie, Herr Schäfer, fordern, man müsse sich an dem orientieren, was angesichts knapper Kasse noch möglich ist, dann sage ich Ihnen: Sie treiben die Stadt Bergkamen mit diesem Pragmatismus, in den Ruin.
Noch nie in der Geschichte gab es im Revier eine derartige Verschuldung der kommunalen Haushalte, Tendenz steigend!
Aber Sie sind weder dazu bereit, die Misere in ihrem vollen Umfang einzugestehen, noch dazu, außergewöhnliche Maßnahmen zu greifen, um sie zu bekämpfen, wobei klar ist, dass die Ursachen nicht vor allem hier in Bergkamen liegen. Rufen wir doch mal als Rat der Stadt dazu auf , nach Düsseldorf oder Berlin zu marschieren, um eine grundlegende Änderung der Gemeindefinanzierung zu fordern, oder die Einhaltung des Konnexitätsprinzips in Sachen Harz IV und bei Unterbringung von Flüchtlingen zu verlangen! Positive Schlagzeilen wären ebenso sicher wie die Solidarität von Millionen Menschen hier im Revier!
Aber da müssten Sie ja gegen Ihre „eigenen“ Regierungen angehen. Also wird die Bevölkerung solche Schritte wohl selbständig unternehmen müssen.
Solange dies nicht geschieht, ist jedenfalls nur sicher, dass die Bevölkerung für immer weniger Leistung immer mehr zur Kasse gebeten wird und dass die Verschuldung der Stadt weiter steigt. Spätestens wenn die Urteile in Sachen Zins-Wetten mit der damaligen WestLB zu Ungunsten von Bergkamen gefällt werden, sind Rückzahlungen fällig, die in etwa dem jetzt noch vorhandenen Eigenkapital entsprechen. Gleichzeitig aber stiege die Zinslast auf weit über 4 Millionen jährlich, weil die Verluste aus den Zins-Wetten über Kassenkredite finanziert werden müssten. Nur weil der Haushaltsentwurf dies gänzlich unberücksichtigt lässt, kann er wenigstens auf dem Papier einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen.
Ohne die Arbeit der Kämmerei schmälern zu wollen: der vorliegende Haushalt, der unter Einhaltung der Vorschriften entworfen wurde, ist objektiv eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Es glaubt ja wohl niemand mehr daran, die Stadt könnte ohne erhebliche Verluste aus diesen riskanten Zinswetten davonkommen.
Wir jedenfalls glauben weder daran noch an einen ausgeglichen Haushalt und werden diesem Schuldenhaushalt nicht unsere Stimme geben.
Weil wir aber davon ausgehen, dass er mehrheitlich von SPD und Grünen abgesegnet wird, haben wir einige wenige Anträge gestellt. Was Sie, Herr Heinzel von der CDU daran nicht verstehen, verstehe ich wiederum nicht. Auch wenn unsere Anträge abgelehnt werden, dokumentieren sie doch, dass wenigstens BergAUF die Lärmbelästigung, die Verpestung der Luft, die Vertreibung der Jugend aus Bergkamen usw. nicht tatenlos hingenommen hat.
In diesem Zusammenhang ein Wort an die SPD-Fraktion zur Situation der Lärm geplagten Menschen an Jahn- und Schulstraße. Wie lange wollen Sie die Anwohner dort mit irgendwelchen vagen Versprechungen noch hinhalten?Jahrzehntelang versprachen Sie gebetsmühlenartig: „Die L 821 n wird endlich gebaut.“.
Weil aber längst klar war, dass kein Geld für die Straße bereit gestellt wird, und diese dazu noch unsinnig ist, weil sie gar keine wirkliche Ortsumgehung wäre, fordern wir schon immer die Sperrung von Jahn- und Schulstraße für den Schwerlastverkehr. Inzwischen sind Ihre Bauvorhaben ad acta gelegt. Nun propagieren Sie Lärmschutzmaßnahmen. Wenn Sie es damit ernst meinen, dann gibt es nur eines: Setzen wir uns alle gemeinsam mit der Bevölkerung dafür ein, den Schwerlastverkehr aus den Straßen zu verbannen. Dafür wollen wir mit unserem Antrag Mittel bereit stellen, damit es später nicht wieder heißt, dafür sei kein Geld da.
Herr Schäfer, Sie stellen verwundert fest, dass wir zum wiederholten Mal beantragen, Feinstaubmessanlagen zu finanzieren. Wissen Sie, wir haben dabei ein klein wenig auf die Lernfähigkeit auch der SPD gesetzt. Vor Jahren, als wir das zum ersten Mal beantragten, wussten Sie vielleicht noch nicht so viel über die Schädlichkeit von Feinstaub. Aber heute müssten auch Sie schon wissen, was wissenschaftlich inzwischen unumstritten ist: Feinstaub vermehrt zu Herzinfarkten, Diabetes, Lungenkrankheiten und Allergien führt. Außerdem haben wir dieses Jahr zuerst bei der Verwaltung angefragt, was Feinstaubmessanlagen kosten. Antwort: pro Messpunkt jährlich etwa 20.000 Euro. Nun lehnen die Vorredner von SPD, CDU und Grünen alle den Antrag, obwohl Sie kein einziges vernünftiges Argument dagegen haben, auch in Bergkamen an neuralgischen Punkten Feinstaubmessanlagen zu installieren, wie dies in zahlreichen anderen Städten der Fall ist. Sie alle, die es ablehnen, diese Feinstaub-Messanlagen zu installieren, nehmen billigend und mutwillig die Ruinierung der Gesundheit der Bevölkerung in Kauf!
Ähnlich verhält es sich mit dem Aufspüren der unter Tage eingebrachten hochgiftigen Stoffe durch die RAG. Unsere Akteneinsicht hat ergeben: es ist wirklich das Giftigste vom Giftigen, was die Menschheit kennt, das unter unseren Füßen in der Erde schlummert. Und wir müssen alles tun, um die Gefahren für uns und nachfolgende Generationen so weit irgend möglich zu minimieren. Dafür sollten uns die zunächst beantragten 100 tausend Euro pro Jahr nicht zu schade sein. Zumal sich ja der Bau der Wasserstadt, so er denn auf diesem kontaminierten Gelände überhaupt möglich wird, deutlich verzögert, wodurch kurzfristig Gelder frei werden.
Auch der Antrag, für Spielplätze soviel Mittel im Haushalt einzuplanen, wie für den Erhalt der jetzigen Ausstattung nötig sind, müsste eigentlich allen am Herzen liegen, für die Kinderliebe mehr ist als Wahlpropaganda. Überhaupt, was ist das für eine Gewichtung: 400 tausend Euro für die Baubetriebshofleistungen an den Spielplätzen auszugeben, dafür aber die Ausstattung verkümmern zu lassen?!
Notwendig sind auch die von uns beantragten Mittel für die Schaffung von Jugendtreffs und es ist erfreulich, dass die Fraktion der Grünen einen ähnlichen Antrag mit Bezug auf minderjährige Flüchtlinge stellt, was sich durchaus gut ergänzt. Weil es eben nicht reicht, den demographischen Wandel oder die Not junger Flüchtlinge zu beklagen, aber nichts dafür zu tun, Bergkamen für Jugendliche – gleich welcher Herkunft – attraktiver zu gestalten.
Dazu gehört auch und an vorderster Stelle die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen und damit zwei Worte zum Stellenplan. Wir finden es richtig, dass er von dem bisher kontinuierlichen Stellenabbau in der Verwaltung abrückt. Schließlich sollen auch die Beschäftigten im Rathaus nicht Arbeiten bis zum BurnOut. Aber der Verantwortung für die Jugend kommt der Stellenplan nicht ausreichend nach, weil die Zahl der Ausbildungsplätze in der Verwaltung und den städtischen Betrieben nicht den Notwendigkeiten entspricht!
Meine Damen und Herren,
fassen wir zusammen: Zehn Jahre Haushaltssicherung – ein einziges Desaster. Während der Weltkonzern Bayer, der hier eine sehr ertragreiche Filiale hat, seinen offiziellen Gewinn 2014 um 7,4 Prozent auf 3,426 Milliarden Euro steigerte (http://www.bayer.de/de/2015-02-26-bilanz-pressekonferenz.aspx), streben seine Steuerzahlungen gegen Null. Vor allem, weil die Gemeindefinanzierung die Gewerbesteuer als Eckpfeiler hat, sind zahlreiche Städte – wie die unsrige – hoffnungslos überschuldet.
Und die Heuschrecken des internationalen Finanzkapitals scharren schon mit den Hufen, um maroden Kommunen deren Filetstücke – Kanäle, Straßen, Schulen – abzuluchsen. Griechenland lässt grüßen, wo unter dem EU-Diktat Häfen, Flugplätze und Straßen privatisiert werden.
Dem kann man nur politisch begegnen. Aber dafür muss man sich freimachen von dem Pragmatismus, der vorgibt, wir könnten ohnehin nichts ändern und müssten damit abfinden, was uns als „möglich“ vorgesetzt wird.
Tatsächlich ist es möglich, nahezu Alles, was von Menschenhand gemacht und als untauglich erkannt wird, auch wieder zu ändern. Daran arbeiten wir – zum Wohle der Bevölkerung!
In diesem Sinne Ihnen allen erholsame Feiertage, kommen Sie gut ins Neue Jahr!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
* Um Verwechslungen vorzubeugen: mit „Herr Schäfer“ ist in dieser Rede stets der SPD-Fraktionsvorsitzende Herr Bernd Schäfer angesprochen.